30 Jahre Herbst `89 – nennen wir es Revolution!?

Gemeinsame Bezugnahme für eingreifende Praxen 2019 im Osten, um Solidarität zu stärken

„Für ein offenes Land mit freien Menschen“
! Wir wollen weder die Parteidiktatur der SED zurück noch diese kapitalistische BRD.

Auch 30 Jahre nach ’89 wollen wir eine andere, solidarische Gesellschaft. Zahlreiche Biographien und Erzählungen sind durch den Anschluss an die BRD verschüttet worden. Doch wir wollen sie hervorholen, ausgraben, wiederentdecken. Als Stimmen der Solidarität, als Mahnung gegen reale Mauern, als Mahnung gegen die Abschottung gegenüber Gedanken und Menschen. Als Bollwerk gegen Rassismus und Faschismus. Für unsere eigene Zukunft. In diesem Sinne: „Für eine offene Welt ohne Grenzen, mit Brücken statt Mauern und mit freien Menschen“.

1989 war nicht das Ende der Geschichte: Während es im Osten einen Aufbruch gab, versanken große Teile der Westlinken in Traurigkeit und Resignation. Sie wollten nicht wahrhaben, dass die Massendemonstrationen in der DDR die Kräfteverhältnisse veränderten und z.B. unmittelbar erreichten, dass auch in der DDR die bürgerlichen Freiheitsrechte eingeführt wurden.

Der kurze Herbst der Utopie war eine Zeit, in der sich Tausende in basisdemokratischen Gruppen organisierten und mit ihren Aktivitäten in Schulen, Verbänden, in Betrieben, der Armee die herrschenden Strukturen in Frage stellten, teilweise durch eigene ersetzten und damit die Macht der SED und der Stasi brachen.

Sie entwarfen dabei auch Vorstellungen einer emanzipatorischen, solidarischen Gesellschaft und gingen damit über ein bürgerliches Demokratieverständnis hinaus. Frauen machten mobil und forderten, dass die Grundlage für eine solche Gesellschaft die Gleichstellung der Geschlechter sein müsse. Viele visionierten eine Gesellschaft, in der die Menschen ihre Angelegenheiten gemeinsam diskutieren und die Geschicke selbst in die Hand nehmen. Dafür wurden auch Räte, Initiativen für Basisgewerkschaften und Bürgerkomitees gegründet. Das schwarze Brett wurde zum Debattenblog. Solidarische Komitees hätten mit allen Mitteln den rassistischen Ausschluss der Vertragsarbeiter*innen verhindern müssen und die Entstehung des NSU. Spannung lag in der Luft und für einige Zeit, für ein paar Monate, war alles möglich. Der Osten war für kurze Zeit das freieste Land der Welt mit dem modernsten Verfassungsentwurf und einer Sozialcharta.

Dieser begonnene Lern- und Entscheidungsprozess wurde durch die vorgezogenen Wahlen und in deren Folge den schnellen Anschluss an den Westen abgebrochen. Das herrschende Narrativ aber leugnet seit 30 Jahren, wie umfassend die Visionen vieler Menschen in der DDR waren und dass diese auf Solidarität und Emanzipation gründeten.

Auch 30 Jahre danach kommt mensch ins Grübeln, wie alles hätte sein können.

30 Jahre danach stellen wir uns die Frage, was wir aus der Entwicklung von damals für heute lernen können. Denn das Entwerfen von Visionen für die Zukunft, braucht den Blick in die Vergangenheit. All die Erfahrungen und Emotionen sind wichtig für Kommendes. Denn eins ist klar: wir wollen weder die Parteidiktatur der SED zurück, noch die kapitalistische BRD. Wir glauben weder an die Verheißungen eines verlogenen Nominalsozialismus noch an die Versprechungen der sozialen Marktwirtschaft und des westlichen Konsums, der das Genießen tötet und unsere Umwelt zerstört. Wir wollen in einer solidarischen, emanzipatorischen Welt leben. Wir müssen reden und zuhören!

30 Jahre Herbst `89 – nennen wir es Revolution!?
 Gemeinsame Bezugnahme für eingreifende Praxen 2019 im Osten, um Solidarität zu stärken.

März 2019